Niemand verpasst etwas, wenn er keinen Smartring trägt
Wenn man rückblickend auf das Jahr 2024 fragen wird, was die großen Trends und Entwicklungen im Bereich der Consumer Electronics, zu Deutsch „Unterhaltungselektronik“ waren, dann wird die Antwort entweder Falt-Smartphones sein – oder Smart-Ringe. Eine regelrechte Flut an verschiedenen Ringen begann zwar schon im vergangenen Jahr, und Marktgrößen wie Oura arbeiten schon seit fast zehn Jahren an ihren Produkten. Aber in der breiten Masse der Gesellschaft kommen die Ringe erst jetzt an.
Mit Samsung und Amazfit haben in diesem Jahr zwei der großen Namen im Wearable-Markt einen eigenen Ring auf den Markt gebracht. Bei Fitbit und Huawei gibt es zumindest Gerüchte über eigene Produkte. Sind smarte Ringe einfach die logische Konsequenz des Smart-Watch-Hypes der letzten Jahre und gehört ihnen die Zukunft? Ich bin der Meinung: Nein. Zumindest nicht beim aktuellen Entwicklungsstand der kleinen Accessoires.
Kleine Ringe, großes Potential?
Nun haben Ringe gegenüber Armbändern einen großen (oder eher kleinen) Vorteil: Sie sind viel kleiner und damit bequemer zu tragen. Schon Smartwatches und Fitness-Tracker am Handgelenk bieten ja den Pluspunkt, dass man die Hände eben frei hat und die Sensoren am Handgelenk im Idealfall gar nicht spürt. Nun ist das Armband auch nicht viel mehr als ein etwas größerer Ring, also macht man es deutlich kleiner, was dank der fortgeschrittenen Technik nun möglich ist, und trägt es einfach zehn Zentimeter weiter vorne.
Und die Ringe sind beliebt. Nicht ohne Grund zieht es immer mehr Hersteller auf den Smart-Ring-Markt, der seit Jahren rasant wächst. Für die nächsten Jahre ist sogar ein noch rasanteres Wachstum vorausgesagt, offenbar sehen Hersteller und Branchenexperten hier noch großes Potential.
Nur halb so gut wie eine Smartwatch
Da endet allerdings auch der Fortschritt, die große Technik-Revolution bleibt bisher aus. Denn abgesehen von der geringeren Größe macht der Smart-Ring nichts anders als die Smart-Watch. Es gibt die gleichen Sensoren, die Puls, Schritte und Schlaf messen – oft allerdings weniger dieser Optionen oder mit geringerer Präzision, da die kleinere Bauweise eben doch mit einigen Einschränkungen daherkommt. Es wird einen Grund haben, dass viele Hersteller vorschlagen, den Ring gemeinsam mit einer hauseigenen Smartwatch zu tragen, um „noch genauere Messergebnisse“ zu erhalten. Das kann man auch übersetzen als: Der Ring alleine ist nicht gut genug.
Auch der Akku ist natürlich deutlich kleiner. Zwar gibt es auch Smartwatches, die man alle paar Tage aufladen muss; hier ist zusätzlich die Art der Nutzung ein entscheidender Faktor. Aber einige Fitness-Armbanduhren oder -Tracker kommen auch auf ihre zwei Wochen Laufzeit. Davon sind die Ringe weit entfernt; Amazfit verspricht maximal 4 Tage, Samsung immerhin 7 aber auch nur bei den größten Ringgrößen. Am Ende wird man den Ring also schon mindestens zweimal pro Woche aufladen müssen.
Und auch ein Display fehlt den Ringen, was anders als bei den Uhren bedeutet, dass man sie nie ohne ein Smartphone nutzen bzw. auf die gesammelten Daten zugreifen kann. Während mir beim Joggen ein Blick auf die Uhr am Handgelenk meinen Puls verrät, muss ich beim Smartring dann doch mein Handy aus der Tasche holen. Allerdings wurde mir von einem überzeugten Ringträger dieser Tage auch ein Vorteil des fehlende Displays aufgezeigt: Man kommt nicht in die Versuchung, ständig auf den Bildschirm zu schauen, weil eben keiner da ist. So bietet der Ring deutlich weniger Ablenkung – zweifelsfrei ein Vorteil in der heutigen Zeit, wo wir eigentlich dauernd auf irgendwelche Bildschirme starren. Wenn ich dann aber am Handy bin, um meine Ring-Daten anzuschauen, laufe ich wieder mehr Gefahr, abgelenkt zu werden, da mich hier auf einmal wieder alle meine Apps mit ihren Push-Benachrichtigungen erwarten, während auf dem Display der Smartwatch weniger passiert.
Und wenn man dann doch ein Display im Ring verbaut, wie es etwa Rogbid mit einem der neueste Ring versucht, kollidiert das mit dem eigentlich schlichten und eleganten Design eines Rings. LEDs am Finger sorgen nicht unbedingt dafür, dass er „gut“ aussieht. Jede Variante hat so ihre Vor- und Nachteile.
Zwischenfazit: situationsbedingt gut
Okay, Ringe können weniger und halten nicht ganz so lange mit einer Akkuladung, sind dafür aber kleiner, leichter, stören nicht beim Tragen und liefern weniger Ablenkung. Dann bleibt es Geschmacksache, ob man eher der Typ für Armbänder oder Ringe ist. Am Ende sind beide Gadgets ja auch Accessoires, die man schön finden muss, um jeden Tag damit herumzulaufen. „Nimm einfach, was dir besser gefällt.“, könnte man sagen. Wäre da nicht ein anderer, ganz entscheidender Faktor: der Preis.
Warum sind Smart-Ringe so teuer?
Fitness-Tracker gibt es je nach Funktionsumfang ab etwa 20€. Smart-Ringe beginnen bei ca. 200€, können dafür aber nicht mehr (sondern eher weniger). Ja, es gibt auch günstige Smartringe zB von Colmi, die haben mich bisher aber nicht überzeugen können und liegen ein ganzes Stück hinter den namhaften Herstellern zurück. Ein Aufpreis von 1000% für einen Fitness-Tracker am Finger, dessen Akku schneller leer ist, ist einem unschlüssigen Käufer, der zwischen Ring und Armband wählen muss, jedenfalls schwer zu erklären. Selbst wenn wir annehmen, dass das Grenzwerte sind und ein gutes Fitness-Armand oder gar eine Smartwatch erst bei 50€ beginnen (was diskutabel ist), ist das immer noch ein riesiger Unterschied.
Und der Preis für Smartringe endet ja nicht bei 200 Euro, er beginnt da. Der Oura 3 kostet in der billigsten Ausführung 300€; Samsung verlangt für den Galaxy Ring ganze 449 Euro. Man mag sich gar nicht ausmalen, was ein eventueller „iRing“ kosten würde, sollte Apple irgendwann mal in den Markt einsteigen.
Vielleicht werden die Preise mit der Zeit sinken, wenn es günstiger wird, die einzelnen Bauteile in so kleinen Dimensionen fertigen zu lassen. Genauso gut kann es aber auch teurer werden, wenn der Funktionsumfang dann wieder steigt, weil man mehr Komponenten verbauen kann. Auch Fitness-Tracker sind in den letzten Jahren nicht viel billiger geworden, sondern mittlerweile kaum noch von Smartwatches zu unterscheiden.
Wenn man dann doch bereit ist, das Äquivalent eines neues Smartphones für einen Smart-Ring zu bezahlen, dann soll sich das natürlich auch lohnen. Was mich zum letzten Punkt bringt: Was nutzt einem all das Health- und Sport-Tracking überhaupt, und wer hat am Ende etwas davon?
Ein Ring, sie alle zu tracken
Geworben wird damit, die eigene Gesundheit besser zu überwachen, damit man das eigene Verhalten unter Zuhilfenahme der erfassten Daten ändern und verbessern kann. Das heißt in der Regel mehr Sport zu geregelten Zeiten, regelmäßige Bewegung bei Bürojobs und ein ausgewogener Schlafrhythmus. Bei all dem kann ein Smart-Tracker natürlich helfen. Nötig ist er dafür aber sicher nicht. Für die Erkenntnis „beweg dich mehr und geh früher schlafen“ braucht es kein Fitness-Gadget.
Trotzdem gibt es eine zunehmende Obsession der Hersteller (und auch der Kunden), alles zu messen und zu „tracken“. Wie viele Schritte laufe ich am Tag; wie viele Kalorien nehme ich zu mir; wie viele Push-Ups schaffe ich; wie regelmäßig stehe ich während der Arbeit auf; wie häufig mache ich Sport; wie viele Stunden verbringe ich am Bildschirm? So relevant jede dieser Fragen für sich genommen ist, so sehr ist die Summe Ausdruck des zunehmendes Trends der Selbstoptimierung, den uns die Werbung seit Jahren aufzwingt. Das oberste Gebot lautet, an sich zu arbeiten und immer besser zu werden.
Auf eine gute Work-Life-Balance zu achten wird gleichermaßen gefordert wie der unbedingte Wille, möglichst erfolgreich zu sein und im Beruf aufzusteigen. Am besten liest man zu beidem erst mal fünf Ratgeber in Buchform. Pick-Up-Artists versprechen jungen Männern in Online-Kursen, wenn sie an sich arbeiten könnten sie jede Frau haben. Jobportale und Partnerbörsen haben gleichermaßen Hochkonjunktur, es gibt immer noch etwas Neues, nach dem man streben kann, sei es im Beruf oder in der Liebe. Ganz wichtig nur: Sei ja nie zufrieden. Also kauf dir gefälligst eine Smartwatch, denn wenn du dein tägliches Schrittziel nicht erreichst, machst du irgendetwas falsch. Mitgliedsbeitrag im Fitti zahlst du ja hoffentlich eh. Und du investierst nicht in Crypto? Weiß du denn gar nicht, was dir alles entgeht?
Bevor das hier zu weit abdriftet: Smartringe sind tolle Gadgets. Ich habe über Monate einen getragen und fand das auch toll. Aber dass der Großteil der Band- und Ringträger auch nur irgendetwas mit all den gesammelten Daten machen würde – also diese wirklich nutzt – glaube ich einfach nicht. Es ist eher die Vorstellung, jetzt etwas für die eigene Fitness zu tun, als tatsächliche, auf den Tracker zurückzuführende Veränderungen. Wenn es zusätzlich motiviert, mehr Sport zu machen, ist das ja zu begrüßen. Mehr Bewegung ist wichtig. Aber um zu wissen, ob dabei der Puls mal unnatürlich hoch steigt, dafür muss sich niemand einen 300€-Smartring kaufen; den gleichen Effekt hat man auch mit dem 30€-Fitnessarmband.
Ich bin mir sicher, Smartringe werden besser werden und vielleicht auch günstiger. Und Hersteller, Werbeagenturen und Influencer werden erklären, wie wichtig sie für einen gesunden Lebensstil sind. Und manchmal werden sie das auch sein. Was auch immer die Zukunft bringt, aktuell sind Smartringe ein reines Luxusprodukt, das man wirklich wollen und sich leisten können muss. Niemand verpasst etwas, wenn er keinen Smartring trägt.
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